Warum am 25. Mai Sozialdemokraten wählen?

Interview mit Evelyn Regner, stellvertretende Delegationsleiterin der SPÖ im Europaparlament

Von Waltraude Licen und Peter Munk

Aus Anlass der bevorstehenden Wahl zum Europaparlament führten wir mit der stellvertretenden Delegationsleiterin der SPÖ, Evelyn Regner, ein ausführliches Interview. Die Fragen stellten unsere Redaktionsmitglieder Waltraude Licen und Peter Munk. Einleitend einige biographische Daten der Abgeordneten:

 

Geboren am 24. Jänner 1966 in Wien, besuchte Evelyn Regner das Gymnasium und absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften. 1992 – 93 war sie Flüchtlingsberaterin bei Amnesty International, wurde Mitarbeiterin im sozialpolitischen Referat des ÖGB und leitete von 1999 bis 2008 das ÖGB – Europabüro in Brüssel. Danach wurde sie Leiterin der „Stabsstelle EU und Internationales“ im Gewerkschaftsbund. Evelyn Regner ist Mitglied des Europäischen Wirtschafts – und Sozialausschusses, Vorstandsmitglied es Europäischen Gewerkschaftsbundes sowie Mitglied des Ausschusses „Sozialer Dialog“. Des weiteren arbeitete sie im Vorstand des Internationalen Gewerkschaftsbundes und als Präsidiumsmitglied des TUAC (Gewerkschaftlicher Beratungsausschuss bei der OECD) in Paris. Seit Juli 2009 ist Regner Abgeordnete zum Europäischen Parlament und stellvertretende Delegationsleiterin.

 

 

 

 

Frau Regner, sagen Sie bitte, warum wir bei den Europa-Wahlen am 25.05.2014 für die Sozialdemokratische Partei stimmen sollen?

Evelyn Regner: Weil wir eine Europäische Union brauchen, die sozialer, demokratischer und gerechter ist als jenes Europa, das seit vielen Jahren nur marktorientiert handelt und Recht setzt. Daher ist die Wahl zum Europäischen Parlament eine Weichenstellung. Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir weiterhin ein neoliberal dominiertes Europa wollen, in dem die Rechte der ArbeitnehmerInnen geschmälert und Sozialausgaben gekürzt werden, oder ob wir ein Europa wollen, das die Bedürfnisse der BürgerInnen ernst nimmt. Wer sich also eine sozialere Union wünscht, sollte am 25. Mai das Kreuzerl bei den SozialdemokratInnen setzen, um so die Mehrheiten im Europäischen Parlament neu zu bestimmen. Gleichzeitig gibt es die Übereinkunft, dass die europaweit stärkste Fraktion den Kommissionspräsidenten stellt. Mit der Stimme hat man also tatsächlich die Möglichkeit, nicht nur über die Sitzverteilung im Europäischen Parlament mitzubestimmen, sondern auch eine Wende in der EU-Kommission einzuläuten und damit in der gesamten Union.

 

Zum Thema Ungarn: Die jüdische Bevölkerung Ungarns ist durch die Regierung von Viktor Orban zunehmend antisemitischem Druck ausgesetzt, sodass es zu Abwanderungen ins Ausland kommt. Was können Sozialdemokraten im Europäischen Parlament gegen den zunehmenden Rechtsradikalismus, der auch in Österreich im Steigen ist, tun?

Evelyn Regner: Die Entwicklungen der letzten Jahre in Ungarn unter der Orban-Regierung sind äußerst besorgniserregend. Dass Orbans Fidesz-Partei so engen Kontakt mit der antisemitischen Jobbik-Bewegung hält, unterminiert unsere europäischen Werte massiv. Dass der rechte Rand in ganz Europa wachsende Zustimmung – auch aus der Mitte der Gesellschaft – findet, wurde in der jüngsten Vergangenheit auch durch die Konsequenzen der Wirtschaftskrise verstärkt. Hier liegt die große Herausforderung der EU: Es muss dafür gesorgt werden, dass die EU wieder sozialer gestaltet wird und dass nicht Teile der Gesellschaft von Verlustängsten gequält werden, um dann anfälliger für rechtpopulistische Hetze zu sein. Für die EU-Wahl kristallisiert sich eine Allianz der europäischen Rechts-Parteien heraus. Umso wichtiger ist es, zur Wahl zu gehen. Hassverbrechen gegen Jüdinnen und Juden sind nicht hinnehmbar, weder in Ungarn noch sonst wo in Europa. Umso alarmierender sind für mich die jüngsten Äußerungen von Andreas Mölzer, der schon in der Vergangenheit mit rassistischen und anti-semitischen Aussagen für Aufsehen sorgte. Diese verurteile ich mich Nachdruck. Ich hoffe inständig, dass durch die intensive Medienberichterstattung nun tatsächlich Klarheit über die wahren Ambitionen dieses Abgeordneten herrscht, und dass sein Verhalten Konsequenzen für ihn und seine Partei haben wird.

Die EU wurde aus den Trümmern des 2. Weltkriegs errichtet. Wir sind es den Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden schuldig, alles in unserer Macht stehende zu tun, um dieses Horrorszenario nie mehr erstarken zu lassen. In einer Resolution des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten haben sich die Abgeordneten auch sehr besorgt über die Lage in Ungarn in Bezug auf die Praxis der Demokratie, den Schutz der Menschenrechte und der Gleichheit gezeigt. Man hat auch eine Prüfung des Verfahrens nach Artikel 7.1 des EU-Vertrags gefordert, wonach eine eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der europäischen Werte durch einen Mitgliedstaat besteht. Angenommen wurde der Text mit den Stimmen der SozialdemokratInnen, der Grünen, der Liberalen und der Vereinigten Linken. Die anderen Fraktionen stimmten entweder gegen die Resolution oder enthielten sich.

Klar ist, dass wir eine Grundrechtecharta und einen EU-Vertrag haben, die die Rechte von Minderheiten schützen, Anti-Diskriminierungsregeln und das Gleichbehandlungsgebot festhalten. Wir sollten also Nägel mit Köpfen machen und Menschenrechtsverletzungen klar benennen, und nicht davor scheuen, notwendigenfalls ein Gerichtsverfahren einzuleiten, wenn die Ungarische Regierung gegen den Rechtsnationalismus nicht ausreichend vorgeht. Da aber stellt sich die Europäische Volkspartei regelmäßig vor Viktor Orban und deckt ihn. Daher ist auch in diesem Fall eine Veränderung der Sitzverteilung enorm wichtig.

 

Zum Thema Umwelt: In den Medien wird zunehmend der Eindruck erweckt, dass die Europäische Kommission nur ein willfähriger Handlanger der Industriekonzerne und deren Lobbyisten ist. Was können die Sozialdemokraten im EU-Parlament dagegen unternehmen?

Evelyn Regner: Zunächst müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die EU-Kommission in ihrer derzeitigen Zusammensetzung eine neoliberale ist. Daher ist es für mich nicht verwunderlich, dass die Industrielobby so erfolgreich ist, wenn es darum geht, Gesetzesvorschläge mitzugestalten. Fakt ist aber, dass das Europäische Parlament die Bürgerkammer Europas ist. Und als solche werden von uns Abgeordneten 95 Prozent aller Vorschläge der Kommission abändert oder ablehnt. Bestes Beispiel ist die Saatgutverordnung. Nachdem der Vorschlag der EU-Kommission eindeutig den Interessen der großen Saatgutkonzerne entsprach, wurde dieser abgewiesen und wieder an den Start zurück geschickt.

 

Wie sieht die sozialdemokratische EU-Fraktion das geplante transatlantische Freihandelsabkommen?

Evelyn Regner: Ich persönlich lehne das Freihandelsabkommen in seiner derzeitigen Form ab. Ich werde auf keinen Fall einem Abkommen zustimmen, das die hohen europäischen Standards im ArbeitnehmerInnenrecht, beim Klima- und Umweltschutz sowie im Lebensmittel- und Agrarbereich schmälert. Nicht zufrieden bin ich zudem mit der Intransparenz der Verhandlungsführung. Die vieldiskutierte Investitionsschutzklausel ist ein weiterer Kritikpunkt und Grund dafür, dass ich das TTIP in der jetzigen Form ablehne. Mir geht es aber natürlich auch darum, in enger Zusammenarbeit mit den ArbeitnehmerInnenvertretungen in den USA zu stehen, um einen höheren ArbeitnehmerInnenschutz, sowohl in den USA als auch in der EU, zu erreichen.