Sind wir schon Kärnten?

Vom Machtstreben und dem Verfall der Moral

von Robert Sperling

Aber das hat doch Atid  vor fünf oder zehn Jahren auch gemacht! Martin Engelbergs Antwort auf meine Frage, wie er, Engelberg, denn den jüngst von drei prominenten Kultusvorstehern in einem offenen Brief gegen ihn erhobenen Vorwürfen des Stimmenkaufs entgegen zu treten gedenke, ist wohl bezeichnend. Bezeichnend für Engelberg, bezeichnend aber auch, so fürchte ich, für gesellschaftlichen Werteverfall und einen signifikanten Mangel an Unrechtsbewusstsein – auch in unserer Gemeinde.

Abgesehen davon, dass unethisches und unseriöses – nennen wir es einfach fragwürdiges – Verhalten nicht sauberer wird, indem man auf mögliches unmoralisches Verhalten anderer verweist: der unappetitliche Vorfall und allein schon der Umstand, dass der Vorwurf des Stimmenkaufs unwidersprochen erhoben werden konnte, weckt beinahe schon Assoziationen  mit einem Klima, das wir allenfalls aus Österreichs  südlichstem Bundesland  zu kennen glaubten.
Dass ein Mann so sehr Präsident der Wiener Kultusgemeinde werden will, dass er anscheinend jeden Preis dafür zu zahlen bereit ist (siehe nebenstehend „Skandal: Mit Stimmenkauf zur IKG-Präsidentschaft?“), muss man wohl zur Kenntnis nehmen. Dass er dabei aber drauf und dran ist, die demokratischen Strukturen, die Rolle der Gremien, die Repräsentanten und Funktionäre, die größtenteils ehrenamtlich und in ihrer Freizeit für diese Gemeinde tätig sind, zu diskreditieren – kurz, dass er in Kauf nimmt, unser aller Ruf nachhaltig zu beschädigen: das muss man nicht, das darf man nicht hinnehmen!
Nun sind politische Deals durchaus das tägliche Brot der „Macht“. Die Frage ist nur, ob, wie sehr und wann dabei Prinzipien durch „Pragmatismus“ ersetzt werden. Muss das überhaupt geschehen? Auch der bund hat in der Vergangenheit mit anderen Parteien Gespräche geführt und Vereinbarungen getroffen. Allerdings NACH geschlagener Wahl. Dabei ging es außerdem immer - zweiter entscheidender Unterschied – um Sachfragen, niemals um Geld. Denn über das Budget zu bestimmen, ist  ausschließlich Sache des von Ihnen, liebe Leserin, geschätzter Leser, zu wählenden Kultusvorstandes.
Indem Engelberg einzelnen Gruppen oder Vereinen als Gegengeschäft für die Kür zum Präsidenten saftige Subventionserhöhungen in sechsstelliger Eurohöhe verspricht  (und, wie es heißt, erklärt, diese Angebote – welch unerhörte Verquickung von privat und öffentlich! – mit Privatvermögen „abzusichern“), begeht er nicht bloß eine moralische Verfehlung. Schlimmer noch, er missachtet die grundsätzlichsten demokratischen Spielregeln. Er zeigt schon vor der Wahl, wie er nach der Wahl zu agieren gedenkt. Vorbei an den Institutionen, vorbei an den gewählten Vertretern. Vorbei  auch an den Wählern? So agiert also ein Mann, der ansonsten nicht müde wird, öffentlich den Moralisten, den System-Erneuerer zu geben?
Die Kultusgemeinde fährt, wie Sie wissen, einen strikt ausgeglichenen Budgetkurs. Darüber herrscht im Kultusvorstand seit Jahren Konsens. Wo wird Engelberg dann also einsparen, wenn er seine Angebote (die manch einer vielleicht nicht ablehnen wird), einlösen muss? Oder, einfacher und tacheles gefragt: Wem will er nehmen, wenn er  den Bucharen gibt? Der Orthodoxie? Den Schulen? Den Medien? Der Sicherheit etwa? Spart er gar beim Sozialen oder kündigt er Rabbiner (Chabad würde sicher gerne mit Rabbanim aushelfen), vielleicht auch den Oberkantor?
Zu solchen Geschichten, heißt es, gehören immer zwei. Ein unmoralisches Angebot zu legen, ist also die eine Sache. Eine andere ist es, ein solches Angebot anzunehmen, oder es zumindest ernsthaft in Erwägung zu ziehen, ein Lizitationsringelspiel zu starten, um dann beim Meistbieter anzuheuern. Das ist unsolidarisches Verhalten der Gemeinschaft, der Gemeinde gegenüber. Das entspringt einer Haltung, die vom Leitsatz „Misstraue denen da oben, aber nimm von ihnen, was du kriegen kannst“ geprägt ist. Das offenbart letztlich eine Mentalität zwischen Basar und Casino – die, wie ich meine, in einer Gemeinde wie der unseren nichts verloren hat.
Sie, liebe Leserin, geschätzter Leser, und der bund sozialdemokratischer Juden können solche Einstellungen wahrscheinlich nicht ändern und solches Verhalten nicht verhindern. Aber wir können gemeinsam dafür sorgen, dass sie in unserer Gemeinde künftig nicht zum bestimmenden System werden. Wir haben die Wahl. Sie haben die Wahl!