Unser Rebbe geht in Teilzeitpension

Einige sehr persönliche Erinnerungen

von Ernst Meir Stern

Als wir einander über den Weg liefen, waren wir beide an der Schwelle zum Erwachsensein. Paul Eisenberg, Sohn des ehrfurchtgebietenden Oberrabbiners, war Mitglied in der Bnei Akiba und meine Wenigkeit Chawer des Haschomer Hazair. Beide großen zionistischen Jugendbewegungen verband eine gesunde Rivalität, im „ideologischen“, vor allem aber im sportlichen Bereich. Dennoch war es möglich, einen gemeinsamen Chor zu bilden, und bereits da fiel die musikalische Begabung von Eisenberg Junior auf. Er zupfte, des öfteren auch als Solist, gekonnt die Gitarre und sang, dass man blass vor Neid werden konnte. Seine Intonation gab mir, als weit weniger begabtem Choristen, den nötigen sängerischen Rückhalt. Dabei war er ein richtiger „Chewremann“. Von seiner späteren rabbinischen Laufbahn war damals, in den „Sechzigern“ noch keine Rede, Pauls Interesse galt eindeutig der Mathematik.

Fußball hatte natürlich schon damals einen hohen Stellenwert bei der männlichen Jugend, bei den Sportfesten ging es zwischen den beiden Organisationen oft heftig „zur Sache“, wobei Paul Eisenbergs Talent als Techniker auffiel. Etwas weniger ausgeprägt war allerdings seine Bereitschaft zum Laufen. Als die „BEA“ und der „Schomer“ eine gemeinsame Mannschaft aufstellten, um gegen die Hochschüler und „Hakoah Junior“ bestehen zu können, hatte ich die Ehre und auch das Vergnügen, gemeinsam mit dem künftigen Rebben Seite an Seite das Mittelfeld zu bilden. Es funktionierte ganz gut, Paul „geigte“, und ich war eher für die gröberen Aktionen zuständig. Und wenn ich ihn das ein oder andere Mal energisch auffordern musste „Pauli, renn!“  kam er der ungeliebten Aufgabe auch nach….Es verband und verbindet uns nicht bloß Sympathie und die Liebe zu unserem Volk, sondern auch das Faible für die Kicker von Rapid Wien.

Dann ereilte auch den Rabbinersohn der Ernst des Lebens. Eines Tages war er weg, um zu studieren. Als er zurückkehrte, war aus dem allseits beliebten Pauli bereits Reb Chaim geworden und er schickte sich an, das Erbe seines Vaters anzutreten.

Chaim Eisenbergs weitere, höchst erfolgreiche oberrabbinische Laufbahn wurde und wird anlässlich seines „Pensionsantritts“ allseits ausgiebig gewürdigt, sodass ich mich auf eher persönliche Erinnerungen an seine Amtszeit beschränken kann. Die Eisenbergs begleiteten mein ganzes Leben. Vater Akiba hatte in unserer Synagoge den Segen über mich als Bar Mitzwah – Jingl gesprochen, Sohn Chaim bei meiner Hochzeit und der Bar Mitzwah unseres Sohnes. Meine Frau Fritzi erinnert sich gerne an den gemeinsamen Religionsunterricht mit Paul und seiner Schwester Ruth.Bei unzähligen „Simches“ und auch unvermeidlichen traurigen Anlässen kreuzten sich unsere Wege, und auch wenn ich selbst religiös weit weniger praktizierend lebe, so war und bleibt Chaim Eisenberg doch stets, „unser Rebbe“, dessen Worte einem, zu welchem Anlass auch immer, zu Herzen gingen..

Ein Oberrabbiner zum Anfassen, respektgebietend, tolerant, verständnisvoll für menschliche Schwächen, dabei weise und obendrein mit einer gesunden Portion „Wiener Schmäh“ ausgestattet. Meine Familie und ich waren immer stolz, ihn bei Auftritten in verschiedenen Medien, aber auch als launigen, witzigen „Entertainer“ zu erleben und zu registrieren, wie gut Chaim Eisenberg auch in der Öffentlichkeit ankam. Einen besseren Botschafter des Judentums konnte man sich kaum vorstellen. In der langen Reihe Wiener Oberrabbiner nimmt Paul Chaim Eisenberg einen bedeutenden Platz ein.

Wir beide sind jetzt schon ältere Herren  (aber nur physisch), die, wenn auch in Pension, so doch weiterhin in unseren jeweiligen Metiers aktiv sind. Eine neue Ära beginnt, unser Rebbe wird nun, von vielen aufreibenden Pflichten befreit, ein wenig kürzer treten, bleibt uns aber wenigstens als religiöses Oberhaupt der jüdischen Religionsgemeinschaft Österreichs erhalten. Meine Angehörigen und ich, sowie alle Mitglieder des bund, wünschen Prof. Paul Chaim Eisenberg noch viele gesunde und erfüllte Jahre „ad mea weeßrim“!