Fraktionitis – Gedanken zur IKG-Wahl 2012

von Robert Sperling

Der Bund, Atid, Gescher. Die Alternative, Khal Israel. Die Vertreter der Bucharen und der Grusinim. Misrachi, Heruth und viele andere, neuerdings noch Chaj und Initiative Respekt und kaukasische Bergjuden: Bei noch jeder IKG-Wahl  buhlten beinahe mehr Fraktionen, Gruppen und Grüppchen um die Wählergunst, als es Wähler gab. Bei den Wahlen im November wird das kaum anders sein. Wie der Witz von den zwei Juden und den drei Meinungen ist das natürlich eine Übertreibung - und doch steckt mehr darin als nur ein Körnchen Wahrheit! 

Dass sich jedes Gemeindemitglied, das die formalen Voraussetzungen erfüllt und über die nötigen Unterstützungserklärungen verfügt, von Ihnen und mir wählen lassen kann, unterscheidet  uns nicht von anderen demokratisch verfassten Gemeinschaften. Dass sich aber so viele bemüßigt fühlen, es tatsächlich zu versuchen, schon!  
Natürlich ist das demokratiepolitisch total super und kostet auch nix, weil wir mit unseren Mitgliedsbeiträgen weder Parteien fördern noch Abgeordnetengehälter finanzieren. Aber es erinnert an den Witz (schon wieder!) von dem schiffbrüchigen Juden, der nach langen Jahren auf einer einsamen Insel gerettet wird: Er hat in der Zwischenzeit zwei Synagogen gebaut. Also fragen die Retter: Eine Synagoge, wunderbar, baruch haschem! Aber wieso zwei? Darauf der Gerettete: Seht ihr die Synagoge dort drüben?  Er deutet auf eine der beiden. Das ist die, in die ich nicht gehe!
Über den Witz kann man lachen, über die Realität nicht. Um es klar zu sagen: Diese Zersplitterung ist nicht Ausdruck gelebter Demokratie sondern, streng genommen,  das Ergebnis  ausgeprägter Egozentrik. Ein veritables Ärgernis!
Vielzahl steht nicht immer für Vielfalt und Antipathie ist noch kein Programm. Oder worin, glauben Sie, unterscheidet sich die Gruppierung um E substantiell von jener um M oder D? Eben. Im besten Fall geht es also um die Wahl oder Nichtwahl von Personen. Sie werden an dieser Stelle einwenden, dass es Schlimmeres gibt. Sie haben Recht damit. Und dennoch: Solange die Stimmen von zehn Freunden, deren Familien (und die der eigenen noch dazu) für ein klitzekleines Mandat reichen, solange Sie, liebe Leserin, geschätzter Leser, bei Kandidaten und Parteien nicht vehement Inhalte und Nachhaltigkeit einfordern, werden Sie Grund haben zur Klage.
Programm statt Phrasen? Überzeugung, nicht  Lippenbekenntnisse? Gesellschaftliches Weltbild anstelle zeitgeistiger Beliebigkeit? Der Bund Sozialdemokratischer Juden steht  genau für diese Werte. Ein 100-jähriges „Traditionsunternehmen“, das einzige in dieser Gemeinde und die einzige unter all diesen Fraktionen (die kommen und gehen), bei der klar ist, wofür sie steht und wogegen sie ist.  Eine Traditionspartei, die durch alle Höhen und Tiefen, die  eine politische Partei durchmachen kann, gegangen ist.  Die schon einmal heftig aus der Rolle fiel (und dafür in den 1970ern von den Wählern brutal bestraft wurde), aber niemals ihre Wurzeln vergaß. Und die, nach ihrer Neugründung, diese Herkunft zeitgemäß zu leben sucht. Nichts und niemandem verpflichtet als den eigenen Prinzipien: soziale Gerechtigkeit, partizipative Demokratie, ethnische, religiöse und kulturelle Vielfalt in der Einheit.  Ein Korrektiv in der politischen Landschaft, kritisch, aber kooperativ. Unabhängig von persönlichen Befindlichkeiten und fern jeglichen Personenkults: Das Programm ist der Star…
Jetzt ist aus ein paar Gedanken und Anmerkungen doch so etwas wie ein „Wahlkampf-Artikel“ geworden. Sie werden einwenden, liebe Leserin, geschätzter Leser, dass es Schlimmeres gibt. Sie haben Recht damit.