Ein fulminantes Festival auf mehreren Schauplätzen
Ein fulminantes Festival auf mehreren Schauplätzen
So feierte der Haschomer Hazair Wien seinen „Hunderter“
von Ernst Meir Stern
„Jetzt ist der Schomer also am Sand“ ätzten einige, als sich Massen beim Gruppenfoto auf der Tribüne des Beachvolleyballplatzes der HAKOAH einfanden. Die einzigartigen Aktivitäten und Feierlichkeiten aus Anlass des „runden“ Jubiläums der ewig jungen zionistisch – sozialistischen Jugendbewegung, die von Wien aus weltweite Verbreitung gefunden hatte, sollten indes alle Lästermäuler eines Besseren belehren.
Die Festivitäten nahmen am 11. Juni mit einer repräsentativen Ausstellung im Jüdischen Museum ihren Anfang. Dan Fischman, Mitarbeiter des Museums und Ex – Schomer, hatte in monatelanger, akribischer Arbeit historisches und aktuelles Material zusammengetragen und aufgearbeitet. Im Rahmen der bestens besuchten offiziellen Eröffnung hielt Doron Rabinovici, auch er in der Bewegung aufgewachsen, eine denkwürdige und berührende Rede.
Aufmarsch der Generationen
Samstag, den 29. Juni stand das „Generationentreffen“ auf dem Gelände des Sportklubs HAKOAH auf der Agenda. Es sollte in Punkto Quantität und Qualität alle Erwartungen weit übertreffen! Hunderte Menschen hatten sich im Laufe des sonnigen Nachmittags eingefunden. Es gab Workshops, in Zelten wurden Süßigkeiten und Getränke serviert, Bücher über den Haschomer Hazair und Fanartikel feilgeboten, die aktuelle Ken – Zeitung „Schmutznik“ unters Volk gebracht. Eine nostalgische Fotoausstellung mit großformatigen Bildern der Nachkriegsgeneration fand große Beachtung, und ein wahres „G’riss“ herrschte an den Tischen mit den vielen Fotoalben, in denen die meisten ihre Jugendbildnisse bewundern konnten. Wehmütiges „weißt du noch...?“ war immer wieder zu hören. Auf einer großen Tafel wurde der verstorbenen Wiener Mitglieder und Schlichim namentlich gedacht, ebenso wie der in der Shoa ermordeten, im Widerstand gegen den Naziterror und im Kampf für Israel gefallenen Schomrim.
Viele waren aus Israel gekommen, unter ihnen ehemalige Schlichim sowie der Leiter der europäischen Bewegung, Omer Hakim, auch er vor nicht allzu langer Zeit Schaliach in Wien. Auch aus mehreren europäischen Ländern, den USA und sogar aus Südamerika waren „Ehemalige“, viele mit Familienangehörigen, angereist. Es gab ungezählte Szenen freudigen Wiedersehens, es wurde umarmt, abgebusselt, gegenseitig fotografiert, gelacht und gescherzt, aber auch so manche heimliche Träne der Rührung verdrückt. Beim traditionellen Appell („Mifkad“) standen schließlich nicht weniger als 460 Schomrim aller Alterskategorien dichtgedrängt beisammen und sangen die „Hatikwa“. Zwar nicht eben einstimmig, aber aus übervollem Herzen…
Der Nachmittag verlief in ausgelassener Stimmung mit Gruppenfoto auf dem Volleyballplatz, Musik und Volkstanz, ehe das Programm mit Darbietungen der jungen Schomrim, der Verlesung von Grußbotschaften und Ehrungen der ältesten anwesenden Chawerim seine Fortsetzung fand. Dr. Martin Vogel, Legende bereits zu Lebzeiten, hatte 1940, als Letzter nach dem Verbot durch das Naziregime, das Wiener Ken geleitet, und Arie Talmi aus dem Kibbuz Dan war Wiens erster „Rosch Ken“ der wiederauferstandenen Bewegung.
Symbolträchtig und berührend die Szene, als Arie Talmi, überaus rüstige 91, heftigst akklamiert, den jüngsten Schomrim des Wiener Kens die „Chulza Schomrit“, das traditionelle blaue Hemd, als Zeichen der Mitgliedschaft überreichte. Noch lange nach Einbruch der Dunkelheit saß und stand man beisammen, sang Volkslieder und beschwor gemeinsame Erinnerungen, wobei sich niemand durch die gar nicht eingeladenen Gelsengeschwader ernsthaft stören ließ.
Wenn das der Lueger wüsste…
Am darauffolgenden Sonntagabend ging im Festsaal des Rathauses der offizielle Festakt über die Bühne. Der Hausherr, Bürgermeister Häupl, ließ sich durch einen Gemeinderat vertreten, Prominenz aus der jüdischen Gemeinde war da, und viele hundert Gäste. Auch Gemeinderabbiner Shlomo Hofmeister und der Schaliach der Bne Akiba erwiesen den Schomrim die Ehre ihrer Anwesenheit. Bundespräsident Dr. Heinz Fischer ließ eine Grußbotschaft übermitteln, und IKG – Präsident Oskar Deutsch hielt eine herzliche Laudatio. Symbolischer und bejubelter Höhepunkt des Abends war der gemeinsame Anschnitt einer Geburtstagstorte in Form der „Chulza Schomrit“ durch Martin Vogel und Arie Talmi.
Für das leibliche Wohl war gesorgt und das Programm konnte sich sehen lassen. Highlights waren ein Film über die vielfältigen Aktivitäten der Jugendbewegung, ein sehens – und hörenswerter Auftritt der „Schomer – Band“ sowie Volkstanzdarbietungen der Mädchen und Burschen. Die hatten allerdings die Tanzfläche nicht lange für sich allein, denn schon nach wenigen Minuten sprangen dutzende Gäste in den Kreis und dann gab es, Bandscheibe hin, Rheuma her, kein Halten mehr… So manche(r) mag bei sich gedacht haben „wenn das der Lueger wüsste - Recht geschieht ihm!“
Die „heiligen Hallen“ haben eine derartige Stimmung sicher noch nicht oft erlebt. Auch an diesem Abend gab es natürlich immer wieder berührende Szenen des Wiedersehens nach Jahren und Jahrzehnten. Daten, Fotos und email – Adressen wurden emsig ausgetauscht und alte Freundschaften aufgefrischt. Erst nach Mitternacht traten die Letzten den Heimweg an.
Donaufahrt
Für etwa 50 Gäste, die meisten Angehörige der Nachkriegsgeneration, hieß es tags darauf schon früh aufzustehen, denn es galt, pünktlich beim Bus zu sein, der sie nach Melk brachte. Mit einer Stiftsbesichtigung und stimmungsvoller Donaufahrt nach Dürnstein bei prächtigem Sommerwetter ging das denkwürdige Festival zu Ende. Die Wiener Schomrim waren zu dieser Zeit allerdings schon längst unterwegs zu ihrem traditionellen Sommerlager.
Fremdwort Generationenkonflikt
Was so perfekt abgelaufen war, ließ nicht ahnen, dass es während der monatelangen Vorbereitungen natürlich auch so manchen Krisenmoment gegeben hatte, und Skeptiker ein einziges Chaos prophezeiten. Doch schlussendlich wurde alles fristgerecht fertig, und auch das ist schomrische Tradition - ihr Berichterstatter weiß, wovon er schreibt…
Sowohl bei den vielfältigen organisatorischen Vorbereitungen als auch beim gelungenen, aktuellen Buch „Paam Schomer, tamid Schomer“ (Einmal Schomer, immer Schomer), arbeiteten viele Junge und „jung Gebliebene“ in schönster Eintracht zusammen und meisterten die aufgetretenen Komplikationen souverän. Generationenkonflikt? Ein Fremdwort in diesen Kreisen. Der alles koordinierende, scheidende Schaliach, Liron Rosenblat, bewies auch im ärgsten Trubel stets Übersicht und stoische Ruhe. Er setzte sich in diesen Tagen, bei aller persönlicher Bescheidenheit, selbst ein virtuelles Denkmal in der bemerkenswerten Historie des Wiener Haschomer Hazair.
Die Ausstellung „Chawerim Chasak! 100 Jahre jüdische Jugendbewegung Haschomer Hazair“ im Jüdischen Museum Wien ist noch bis 29. September, Sonntag bis Freitag von 10 bis 18 Uhr zu sehen.
Fotos: Albert Stern